Todesmarsch
Gedenktafel erinnert nun an Kriegsverbrechen in Mühbrook

Anfang September 2022 wurde in Mühbrook an den Todesmarsch von Hamburg nach Kiel 1945 gedacht und mit Angehörigen der Gefangenen und KZ-Häftlingen die letzte von sechs Gedenktafeln aufgestellt, in Erinnerung an den Sowjetbürger Georgi Makarow und den Deutschen Christian Berg. Dies war nach Neumünster-Einfeld, Wittorferfeld, Bad Bramstedt, Kaltenkirchen und Kisdorferfeld der letzte Standort. Unterstützt wurden die Veranstaltungen der Biografiengruppe Todesmarsch vom Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein, der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten und der Stadt Kiel auch vom Schleswig-Holsteinischen Heimatbund (SHHB), der sich seit 2008 mit der Chaussee Altona-Kiel befasst. Ein Ziel dieser Arbeit ist, die Geschichte der Chaussee im Wandel der Zeit bekannt zu machen.
Ende des Zweiten Weltkrieges schickte die Hamburger Gestapo 1945 rund 800 Gefangene und KZ-Häftlinge zum sogenannten Arbeitserziehungslager Nordmark in Kiel-Russee. Vier Tage waren mehrere Gruppen unterwegs, zum Teil barfuß, hungrig und bei Fluchtversuchen durch bewaffnete Wachmänner bedroht. Neun namentlich bekannte Häftlinge wurden dabei erschossen. “Mit diesen Tafeln kennzeichnet die Biografiengruppe den Tatort, erinnert an die Opfer und benennt die Täter. Wir möchten dazu beitragen, diese Verbrechen der Nationalsozialist*innen, dieses Unrecht unter den vielen anderen Untaten der Nazis zu benennen”, sagte Thomas Käpernick von der Biografengruppe Todesmarsch Hamburg-Kiel 1945. “Wir haben vor 20 Jahren angefangen, uns mit der Problematik zu beschäftigen”, sagte Wulf Klüver, Bürgermeister der Gemeinde Mühbrook. Gemeindevertreter von Mühbrook (Kreis Rendsburg-Eckernförde) hätten eine Gedenktafel mehrheitlich abgelehnt. Doch der beharrliche Einsatz der Biografengruppe hätte schließlich zum Erfolg geführt.
„Vielleicht muss man es noch einmal deutlich sagen: Es war ein Verbrechen, diese Menschen zu erschießen. Sie waren Gefangene der Polizei Hamburg, die damals tausende Häftlinge ohne gerichtliche Überprüfung oder Anklage im überfüllten Polizeigefängnis Fuhlsbüttel festhielt. Diese Polizeihaft war ein Terrorinstrument, denn so konnte die Gestapo missliebige Menschen in die Zellen stecken, bei denen die Beweise für eine Anklage nicht immer reichten. Es waren in der Mehrzahl ausländische Opfer, also Zwangsarbeiter*innen, die gegen irgendeinen Erlass verstoßen hatten oder den Widerstand vorgeworfen wurde. Mit ihnen waren als politische Häftlinge Hamburger*innen interniert", sagte Käpernick. Unter den Gefangenen im KolaFu seien auch mindesten 163 jüdische Verfolgte, unschuldige Opfer des NS-Vernichtungsantisemitismus gewesen. Die Zustände im KolaFu waren schrecklich, die Zellen überfüllt und dreckig, Häftlinge verhungerten, Gewalt war an der Tagesordnung. „Sie waren der kleine Rest deutscher Jüdinnen und Juden, die 1941 nach Riga deportiert worden waren und die Morde, Selektionen, Zwangsarbeit und unfassbare Not überstanden hatten“, so der Historiker. Und weiter: „Das KolaFu wurde nach einem von langer Hand vorbereiteten Plan geräumt“. Unter der Androhung, Häftlinge, die aus der Marschkolonne ausscheren, zu erschießen, mussten am 12.4.1945 ungefähr 800 von ihnen den viertägigen Fußmarsch zum AEL Nordmark in Kiel-Russee antreten. Schuhwerk, Verpflegung waren unzureichend, die Wachmannschaften setzten ihre Gewehrkolben ein.
Die Wachmannschaften waren Hamburger Polizisten oder zum Wachdienst Dienstverpflichtete. Dazu kamen niederländische Freiwillige der SS. „An ihrer Spitze standen zwei Offiziere. Für die vier Kolonnen verantwortlich war Wilhelm Hennings. Weil er der verantwortliche Offizier war, verurteilen die Briten Wilhelm Hennings im Curio Haus Prozess Hamburg wegen Kriegsverbrechen – Morde an ausländischen Gefangenen – zum Tode. In der Verhandlung gegen ihn und den Mitangeklagten Johann Hahn wurden die zwei Morde in Mühbrook verhandelt“.
Was in Mühbrook geschah: Die Kolonne, die unter Hennings Befehl marschierte, wurde am 14.4.1945 auf zwei Höfen einquartiert. Einige Verfolgte mussten zuerst im Schweinestall unterkommen. Als am nächsten Morgen Wilhelm Hennings einen Appell anordnete, der auf der Dorfstraße mitten im Ort abgehalten wurde, stellte sich nach der Zählung der Häftlinge heraus, dass vier fehlten. Hennings ordnete mit lautstarken Befehlen eine Suchaktion an. Der Bauer Lütje, ein altgedientes NSDAP Mitglied und als Kommandant des zwei Höfe weiter gelegenen Kriegsgefangenenlagers Mühbrook bewaffnet, half durch Ausgabe von Forken und unterstützte die Wächter dabei, den Heuboden seines Hofes nach den verschwundenen Häftlingen zur durchsuchen. Zuerst wurden die Häftlinge Christan Berg von Hennings in der Lütjeschen Scheune, dann Gregori Makarow von einem unbekannten Wachmann auf der Straße erschossen.
Hennings forderte seine Wachleute durch laute Befehle auf, zu schießen. Es waren Kopfschüsse, wie der Bordesholmer Polizeibeamte Barglinski aussagte. Niemand stoppte die Täter, niemand protestierte, als mitten in Mühbrook Menschen erschossen wurden. Es war möglich, derartige Verbrechen zu verhindern: In Kaltenkirchen hatte zwei Tage vorher der örtliche Polizeiwachtmeister einen Häftling vor der drohenden Erschießung bewahrt.
Beide Tote liegen auf dem Friedhof in Bordesholm. „Wir kennen nur die Namen, können aber bis heute ihre Identität und damit die Hintergründe ihrer Verfolgung nicht erklären. Vielleicht gelingt das noch“, sagte Käpernick. Und: „Gedenken muss erneuert, mit Leben erfüllt werden. Dies ist jetzt in Mühbrook geschehen. Wir sind sehr dankbar, dass diese Tafel steht. Wir danken der Gemeindeversammlung und ich danke persönlich Wulf Klüver, der manche umstrittene Entscheidung durchgesetzt hat. Wir wollen an Unrecht erinnern. Wir wollen die Verfolgten ehren. Wir wollen die Überlebenden befragen, ihren Nachkommen zuhören. Wir müssen den Anfängen wehren und uns heute einsetzen gegen Diskriminierung, Antisemitismus und Gewalt. Auch dazu soll diese Tafel in Zukunft dienen“.
„Der Todesmarsch ist eines der historischen Ereignisse entlang der Strecke der Chaussee Altona-Kiel, gleichermaßen prägend wie erschreckend! Deshalb unterstützen wir die Biografiegruppe Todesmarsch Hamburg-Kiel 1945 in ihrem Bestreben, den Opfern Gesicht und Namen zu geben – und so das Gedenken an sie wach zu halten“, sagte Peter Stoltenberg, Präsident des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes. „Der Journalist Till Eckert schreibt vor ein paar Jahren in einem Essay: Erst unsere Fähigkeit, Geschichte(n) zu erzählen, uns zu erinnern, ein kollektives Gedächtnis zu entwickeln macht uns zu Menschen. Wer die Erinnerung und die Reflexion über unsere Vergangenheit ablehnt, denkt und verhält sich unmenschlich. Und weiter: Unsere Erinnerungskultur tariert unsere gesamtgesellschaftliche Moral, sie ist ein Kompass für den Alltag. Und, das hoffe ich, auch für unser zukünftiges Handeln als Gesellschaft. Möge diese Gedenktafel uns Orientierung geben und dazu beitragen, dass wir unseren Kompass nicht verlieren“.
Am Sonntag, 4. September, gab es zudem am Gedenkort des ehemaligen Arbeitserziehungslager Nordmark in Kiel-Russee eine stille Gedenkfeier mit persönlichen Beiträgen der Angehörigen. Zu beiden Anlässen waren Angehörige der Gefangenen und KZ-Häftlingen auf Einladung der Biografiengruppe Todesmarsch Hamburg-Kiel 1945 angereist. Darunter beispielsweise Gert Rosenhain aus Buenos Aires, Ruthy Sherman aus Tel Aviv und Marina Zander aus Oldenburg.
Auch der NDR war vor Ort und berichtete im Schleswig-Holstein-Magazin.